Branchenkonferenz Gesundheitswirtschaft 2015

Für diese elfte nationale Konferenz habe ich unter anderem diesen Text samt Exzerpt zum International Forum samt Exzerpt verfasst. Sie fand am 16. und 17. Juli 2015 in Warnemünde statt.

"Wie funktioniert aktives Altern?"

Ehemaliger Bundesminister Franz Müntefering: "What do ageing societies expect from interdisciplinary and applied gerontology?"

Was erwartet alternde Gesellschaften? Was sollte Altersforschung leisten? Diesen Fragen stellte sich Müntefering in der Hauptrede des Forums. „Vor 200 Jahren wurden Menschen im Schnitt nur 40 Jahre alt, 2030 werden durchschnittlich 85 Jahre erreicht“, so verdeutlichte der ehemalige Minister die riesige gesellschaftliche Entwicklung in Zeiten von immerfort zunehmender Leistungsfähigkeit der Medizin. In Anbetracht des Demografischen Wandels stellte er folgende Fragen: Wie kann es weiter gehen? Wie leben die Alten, wie ist ihre Philosophie? Wie gestaltet sich die alternde Gesellschaft derzeit? Was können die zwischen 65 und 85-Jährigen für eine gute Zukunft tun? Zunächst müsse Müntefering zufolge bei den Älteren angefangen werden: Das Rentenalter müsste frei wählbar sein, Ältere sollten gesund leben, ihrem Dasein Sinn verleihen und sich darauf einstellen, dass das Leben als ballistische Kurve verläuft, das heißt, irgendwann ist die maximale Leistungsfähigkeit erreicht. Dennoch kann die persönliche Leistungsfähigkeit zumeist durch gesundes Leben und maßvolles Genießen verlängert werden.

„Eine Chance, für die, die nicht trainiert sind, sei das Gehen“, so Müntefering. Schließlich sei Bewegung neben sozialen Kontakten - etwa durch Sportvereine - immens wichtig. Doch, so schränke der ehemalige Bundesminister ein, „wir sind eine Bewegungsverhinderungsgesellschaft.“ Dabei sei Alltagsbeweglichkeit für lange Gesundheit unverzichtbar. „Unser Körper braucht gewisse Anstrengung“, so Müntefering, nach dessen Auffassung an der Krankheit Demenz mehr geforscht werden müsse Als beste Bewegungsmöglichkeit im Alter nennt Müntefering das Tanzen: „Es ist nie zu spät, damit anzufangen.“ Prävention bedeutet für ihn nicht nur, Krankheiten vorzubeugen, sondern Lebensqualität in jedem Alter. Schließlich solle es einem langfristig gut gehen – auch für diejenigen, die nachwachsen.

Auch das Thema Wohnen beziehungsweise Leben von Menschen zwischen 60 und 90 Jahren müsse systematisch behandelt werden. Immerhin gebe es laut Müntefering bereits jetzt 12.300 Menschen in Deutschland, die 100 Jahre und älter sind. Wichtig sei es eine Aufgabe zu haben – ob ehrenamtlich im Verein oder bei der Unterstützung junger Leute. Zwar ist die Technik mittlerweile so weit vorangeschritten, dass es Teppiche gibt, die ein Signal geben, sobald man darauf fällt. „Aber besser ist natürlich Kontakt mit Menschen“, so der SPD-Politiker.

Auf die Frage von Dr. Lange, was passieren sollte, damit aktives Altern funktioniert, entgegnete Müntefering: „Ich halte die Kommunen für in der Pflicht, sich bei immer mehr alten Menschen darüber Gedanken zu machen, ob der Sozialraum in dieser Hinsicht ausreichend organisiert ist.“ Auch Dr. Blank wollte von Müntefering mehr erfahren: „Wäre es nicht sinnvoll, Menschen länger in Beschäftigung zu halten?“ Hierauf entgegnete der Ex-Minister, dass er ein festes Renteneintrittsalter als großes Problem ansehe. Schließlich sei die Gesellschaft mobiler, der Lebensraum, für diejenige, die Arbeit suchen, immer größer geworden. „Hier braucht es Hilfestellungen für Kommunen“, sagte Müntefering.Heute machten Ältere in ihren Wohnzimmern Schalterkonferenz: Doch wie kommt man zum Beispiel von der Wohnung bis zur ärztlichen Versorgung an einen Bützower persönlich heran? Hierüber müsse sich die Gesellschaft Gedanken machen. Weil Lachen gesund ist, endete Müntefering mit folgender Anekdote: „Eine 106-jährige Dame äußerte erleichtert, nun müsse sie sich endlich keine Sorgen mehr machen. „Warum?“, fragte man sie. ,Beide Kinder sind im Altersheim‘, entgegnete sie.“

 

Dr. Amilcar Manuel Reis Moreira: MOPACT – active ageing and enhancing active citizenship

„Das grundlegende Ziel von MOPACT ist evidenzbasierte Forschung”, erläuterte Moreira. Es gehe dabei um eine umfassende Forschungsstrategie mit neun Arbeitspunkte, die derzeit vorläufige Ergebnisse liefere. Er untersuche die Folgen sozialer und wirtschaftlicher Entwicklungen. „Wir wollen zeigen, wie ältere Menschen ihr Sozialleben teilen“, so Moreira. Dabei gehe es darum darzustellen, was aktives Bürgerleben bedeutet. Schließlich solle es älteren Menschen problemlos möglich sein, sich bei Interesse in demokratische Organisationen einzubringen. Die alternde Gesellschaft in Deutschland bietet etliche Herausforderungen wie die Themen Nachhaltigkeit und Renten. Zudem seien bei all den alten  Menschen immer mehr Pflegeinrichtungen notwendig.

Bisherige Untersuchungen zeigten, dass Menschen mittleren Alters kaum demokratische Organisationen partizipieren. Hier stelle sich nun die Frage, wie Ältere in Europa dazu zu bringen seien. Und wie sind Personen dabei zu unterstützen? Was sind ihre Partizipations-Beweggründe? Wo partizipieren sie? Wann partizipieren sie und warum steigen sie ab einem gewissen Punkt aus? Schließlich gebe es Moreira zufolge wenig politische Beteiligungsmöglichkeiten für Ältere.

Bei MOPACT handelt es sich um ein vierjähriges Forschungs-Projekt, das mehr als 27 Partnerorganisationen zusammenbringt. Begründerin ist die Europäische Kommission.

Daan Bultje: „INNO Life: better, long lives – one of the largest public-founded initiatives for health worldwide“

„Es geht uns um die Förderung eines aktiven persönlichen Lebensstils”, so Bultje. Das Healthy Ageing-Network Northern Netherlands (HANNN), Groningen/Niederlande ist seinem Direktor zufolge hervorragend. Es wirbt für ein gesundes Leben, unterstützt aktives Altern und verbessert die Gesundheitspflege. All dies sei entscheidend, da man an der Schule nicht lerne, gesund zu leben. „Deshalb setzen wir uns für mehr Gesundheitsbildung ein und zeigen, wie es sich gesund leben lässt“, sagte Bultje. Das Netzwerk schuf 165 Start-Ups und 340 neue Geschäftsideen und vermittelt die Zukunftsbedingungen für ein gesünderes und zufriedeneres Leben innerhalb Europas. 1 Millionen Studenten nehmen jährlich online an Erziehungsprogrammen teil. Die thematischen Gesundheitsprogramme beschäftigen sich mit den Themen Altern mit gesundem Gehirn, personalisierte Onkologie und integrierte Krebsvorsorge sowie nachhaltige Pflege für ein aktives und unabhängiges Leben in Europa.

Bei dem Altern mit gesundem Gehirn geht es um die Identifikation von Risikogruppen sowie um lebenslange Prävention zum Schutz vor Demenz. Die personalisierte Onkologie hingegen soll neue Servicemodelle und Produkte zur Prävention, frühe Diagnose, Behandlung und Folgepflege ermöglichen. Zur Unterstützung eines aktiven Lebensstils werden Pflegelösungen entwickelt und getestet, die chronisch Kranken zu bestmöglicher Gesundheit verhelfen sollen. Gleichzeitig soll die Pflege von teurer und laborintensiver Umgebung hin in das eigene Zuhause verlegt werden. Näheres zu dem Netzwerk gibt es unter www.hannn.eu.

Prof. Dr. Josef Hilbert: „MOPACT: European innovation bottlenecks to meet the needs of older people“

„Wir sind sehr gut in Forschung und Entwicklung, aber die Umsetzung des Wissens und der erfolgversprechenden Lösungen ist in Deutschland oft schwierig“, sagte Prof. Dr. Josef Hilbert, der sich innerhalb von MOPACT mit Arbeitspaket sieben beschäftigt. Sein Thema ist die Infrastruktur für aktive und gesunde Arbeit. Wichtig sei es innerhalb des Projekts, Ergebnisse zu diskutieren sowie Versuche und während der Forschung entstandene zunächst vorläufige Ergebnisse belastbar zu machen. Das Problem sei jedoch, dass, sobald es keine Gelder mehr gäbe, auch die Projekte endeten. Hilbert zufolge ist dies ein deutsches Problem. „Derzeit sieht es so aus, dass andere Länder wie die USA, Kanada und Japan Europa überholen“, so Hilbert. Deutschland müsse daher besser in der Nutzung und Umsetzung von Forschungsergebnissen werden. „Es gibt hier einen großen Markt, aber viele Hindernisse bei der Verbreitung wissenschaftlicher Lösungen.“ Auch die Krankenhäuser hier seien langsam, wenn es darum gehe, innovative Lösungen zu der Unterstützung älterer Menschen zu nutzen. „Deutschland ist der Engpass für Europa“, spitze Hilbert das hiesige Problem zu. Auch die Regierung wisse darum, dass das technologische Umfeld, also Forschung und Entwicklung, in Deutschland sehr gut sei, die Umsetzung hingegen miserabel. Dabei seien doch die Bedürfnisse der Alten eine Chance für die Wirtschaft ("Silver Economy“).

Der Forschungsprozess zu diesem MOPACT-Arbeitspaket sieht folgendermaßen aus: Es beginnt mit einem vorausschauemden Innovationsbericht, der unter anderem durch Interviews mit internationalen Experten besteht. Es folgen Fallstudien guter Praxis in den fünf europäischen Ländern Finnland, Deutschland, Polen, Spanien und Großbritannien zu Themen wie Wohnen (Demenz-Gemeinschaften, Nachbarschaftsentwicklung…) und Mobilität (individueller Transport mit Autos, öffentlicher Transport durch die Nachbarschaft) sowie Bewertung und Überprüfung. Die Bewertung findet innerhalb eines Workshops mit internationalen Experten statt. Dabei wurde von der Branchenkonferenz und ihren internationalen Partnern profitiert. Näheres zu MOPACT unter http://mopact.group.shef.ac.uk/.

Doch neben Problemen gebe es auch Hoffnung. Als ein Beispiel für aktives und gesundes Altern nannte Hilbert die regionale Initiative „The St. Luke’s Health Path“, einer touristischen Lifestyle-Route für Forscher und Privatpersonen) durch die Ostsee-Region. „Wir wollen auch Hotels und Fahrradläden an dem Projekt beteiligen, so Prof. Dr. Gerhard Rakhorst, Partner für die Niederlande. Diese Initiative schaffe ein Bewusstsein für die Lösung der Probleme und mache noch einmal deutlich, dass aktives Altern möglich sei. „Sie ist ein Alleinstellungsmerkmal für den Gesundheitstourismus“, schwärmt Birgit Pscheidl, Projektmanagerin Life Science der BioCon Valley GmbH. Wichtig seien dabei ärztliche Cluster, die es Betroffenen ermöglichten, gezielt etwas gegen Rückenleiden oder Diabetes zu tun. Auch Apps zur Unterstützung der ärztlichen Versorgung seien vorgesehen. „Nun geben wir uns noch ein Jahr Zeit, bis die Route offiziell vorgestellt wird“, so Rakhorst. Geplant sei dann ein Treffen in Bologna, wo die älteste Medizinische Fakultät Europas zu Hause ist. Partner dieser Pilot-Route sind die Niederlande, Polen und Deutschland mit BioCon Valley-Präsident Prof. Dr. h. c. (mult.) Horst Klinkmann. Dr. Lange bezeichnete dieses Projekt als „hervorragendes Beispiel für aktives Altern.“ Es gebe viele gute Ideen und viele Bedürfnisse, die erforscht werden müssten. Nun gelte es, das Projekt in der Praxis zu verfolgen. Dieser Pfad zeige, dass wir mit den richtigen Ansätzen einen guten Demografischen Wandel erleben könnten. Entscheidend hierfür sei, dass jeder in der Gesellschaft seinen Platz finde.

Diskussion

Prof. Dr. Gerhard Naegele sprach von sechs Lebensphasen und einer Neuentwicklung des typischen Lebenslaufs. Dem Gerontologen zufolge sollten die die unterschiedlichen Lebenslagen der Alternden berücksichtigt werden. Denn wer etwa in Armut oder in einem Krankenhaus alt werde, hätte natürlich ganz andere Voraussetzungen als jemand, dem es in seinem eigenen Haus an nichts fehlt.

Naegele beschäftigt sich mit dem MOPACT-Paket 3 „Extending working lives“. Er legte dar, dass diejenigen, die länger arbeiteten, meist überqualifiziert seien. „So entsteht eine neue Form der sozialen Ungleichheit, die sich über den Lebenslauf entwickelt und sich im Alter vertieft“, so Naegele. Wer also nicht zuvor verhältnismäßig privilegiert gelebt habe, könne dies auch im Alter nicht mehr erreichen. Der Gerontologe legt daher Wert auf die Eigen- und Mitverantwortung eines jeden Einzelnen. Wichtig sei es daher, im Alter eine Beschäftigung zu finden – etwa durch Seniorenmitwirkungsprozesse oder Berufswechsel.

Für Prof. Dr. Rolf G. Heinze hingegen geht es um Assistenzgestützte Systeme, für die Finnland als Beispiel nennt. Er betonte jedoch, dass technische Unterstützungsmodelle allein für Ältere, die länger zu Hause bleiben möchten, nicht ausreichen, sondern sie müssten in den Sozialraum eingebaut werden. Was heißt das für Dörfer? Man müsse mit solchen Entwicklungen gezielt in Dörfer hineingehen, so Heinze. Gleichzeitig sei es jedoch fraglich, ob jedes Dorf aufrecht gehalten werden können. Entscheidend sei, sich rechtzeitig zu überlegen, wie ältere Menschen länger in ihrem eigenen Umfeld bleiben könnten. Skandinavien und die Niederlande hätten das bei diesem Thema herrschende „Silo-Denken“ bereits hinter sich gelassen.

Exzerpt:

Demografischer Wandel, alternden Gesellschaften und Erwartungen an die Altersforschung sind brennende Themen. Das Rentenalter muss frei wählbar sein, Ältere sollten gesund leben und ihrem Dasein Sinn verleihen.


Ziel des MOPACT-Projekts ist evidenzbasierte Forschung. Gezeigt werden soll, wie ältere Menschen ihr Sozialleben teilen.


Die Förderung eines aktiven Lebensstils – darum geht es dem Healthy Ageing-Network Northern Netherlands (HANNN). Der Verbund unterstützt aktives Altern und verbessert die Gesundheitspflege.


Deutschland muss besser in Nutzung und Umsetzung von Forschungsergebnissen werden. Bestes Beispiel für aktives Altern ist die Idee des "The St. Luke’s Health Path“, einer touristischen Lifestyle-Route durch die Ostsee-Region.

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