So bereitet sich Flensburg auf Kroatien vor
Bei Cosmo geht Schwarz-Rot-Gold weg wie warme Semmeln. Renate
Thomsen (47), Mitarbeiterin bei dem Friseur in der Flensburg-Galerie,
hat gestern eine der allerletzten Deutschland-Perücken getestet. Auch
eine Fahne hat die Friseurin bereits gekauft - für ihre Kinder. Womit
Familie Thomsen bestens auf das Spiel Deutschland - Kroatien heute
Abend vorbereitet ist. „Ich tippe 3:1", sagt Thomsen, die sich ab 18
Uhr vor dem Fernseher von ihren Kindern mitreißen lassen will.
Überhaupt ist Fußball in Flensburg in aller Munde. Für jeden Fan ist
klar, dass mindestens jedes Deutschland-Spiel geguckt werden muss. Doch
was machen Berufstätige, die trotz EM länger als 18 Uhr arbeiten
müssen?
„Bei uns dürfen die Mitarbeiter statt um 20 Uhr wegen
des Deutschland-Spiels schon um 18 Uhr aufhören zu arbeiten", sagt
Michaela Borck, Assistentin der Geschäftsführung beim Callcenter
Carebyphone am Pferdewasser, wo es sonst zwischen 18 und 20 Uhr viel zu
telefonieren gibt. Auch das Kraftfahrt-Bundesamt will keinem seiner
rund 1000 Mitarbeiter beim Frönen seiner Fußball-Leidenschaft im Wege
stehen: „Unsere Mitarbeiter können abends von der Gleitzeit Gebrauch
machen", sagt KBA-Sprecher Stephan Elsner. Im Danfoss-Werk wird zwar
länger gearbeitet, aber es werden Fernseher aufgestellt. „Wenn die
Produktion nicht leidet, kann das EM-Programm verfolgt werden", sagt
IT-Leiter Torsten Kremer. Das sei Tradition und habe bislang gut
funktioniert. Auch bei Rewe in der Galerie war ein Fernseher für die
Mitarbeiter im Gespräch, die bis 21 Uhr arbeiten müssen, sagt
Marktmanager Andree Schiesewitz. Im Fall eines positiven
Turnierverlaufs stellt er in Aussicht: „Sollte Deutschland ins Finale
kommen, wird eventuell gemeinsam mit allen Mitarbeitern gegrillt".
Beim
Kommunikationsunternehmen Versatel stehen nicht nur Fernseher bereit.
„Die Mitarbeiter bekommen auch Spielpläne, die sie sich im Büro
aufhängen können", sagt Pressesprecher Robin Schmidt. Außerdem gebe es
Kickertische, Tipp-Möglichkeiten und ein Voting zu aktuellen
Fußballfragen. Pech dürfte dagegen Kunstdozentin Dr. Christine Heil von
der Uni Flensburg haben. Sie bietet ausgerechnet heute um 18 Uhr -
pünktlich zum Anstoß - ein Seminar an. „Wenn ich gebeten werde,
verschiebe ich das Seminar „Soziale Prozesse im Kontext der Kunst",
sagt Heil, die die EM als „Kulturereignis" begreift, an dem sie
teilnimmt. Ansonsten sehe sie ihre Veranstaltung als „kreatives
Gegenprogramm". Wenn niemand komme, werde sie irgendwo in Flensburg das
Spiel verfolgen. Überhaupt mangelt es Heil nicht an Kreativität. Sie
könne sich gut vorstellen, sich mit Studenten ästhetischen
Fan-Praktiken zuzuwenden; oder eine Art „Multi-Tasking-Veranstaltung"
anzubieten, bei der sie während eines Fußballspiels Prüfungen abnehme,
scherzt Heil. So bleibt auch die Uni nicht außen vor, wenn sich in der
Stadt alles um Fußball dreht. Wie bei Renate Thomsen, die - eingehüllt
in ihren schwarz-rot-goldenen Umhang - mit ihren Kindern dem Anpfiff
entgegenfiebert.