Von Menschen, Muscheln und Meerwasser

Mit der Premiere „Die Kranichmaske, die bei Nacht strahlt" wagt die Pilkentafel im 25. Jahr ihres Bestehens mal wieder Experimente. Absurdes irritiert und beeindruckt gleichermaßen. Theaterkritik, erschienen am 6. September 2008 im Flensburger Tageblatt.

Tierköpfe blicken auf die Zuschauer. Die fünf jungen Schauspieler liegen am Boden, die nackten Füße von sich gestreckt. So begann am Donnerstag die Premiere von Yoko Tawadas erfrischend ungewöhnlichem Stück „Die Kranichmaske, die bei Nacht strahlt" in der Theaterwerkstatt Pilkentafel.

Mit Beginn der neuen Spielzeit feiert die Pilkentafel ihr 25-jähriges Jubiläum. Los ging alles im September 1983 mit dem Stück „Wir werden uns leidenschaftlich lieben". In der Zwischenzeit wurden insgesamt 34 Stücke gespielt und mehr als 25 Performances oder einmalige Events aufgeführt.

Grammatik und Geruch, Tod und Tanz, Panik und Polizei - all das sind lose Themenfetzen, die auf den Zuschauer einstürmen. Blaues Licht, ekstatisches Flüstern, animalische Schreie und fortlaufendes Experimentieren mit der Sprache als solche tun ein Übriges, um den Zuschauer zu irritieren. Dass im Mittelpunkt der Tod steht, wirkt beinahe nebensächlich, denn bizarre Vorstellungen, unerfüllte Wünsche, geheime Rachegelüste, Ekelanwallungen und Aggressionen - etwa gegen ein Telefon - übertönen das merkwürdige Totenritual von vier Menschen am Vorabend der Beerdigung. Nach einer Weile verwundert es kaum noch, dass der Dolmetscher die Grammatik der Schildkröten kennt und der Bruder der Toten eine Muschel liebt.

Neben aller Absurdität (Kann ein Kranich ICH heißen?) und zahllosen Sinnfragen kommt auch der Humor nicht zu kurz - wenn auch ein sehr spezieller. Davon zeugen Aussagen wie: „Ich will nicht heiraten, denn ich will nie so wie meine Frau aussehen". Oder auch die Tatsache, dass Menschen dreißig Jahre im gleichen Haus leben, ohne je miteinander gesprochen zu haben.

Und dann ist alles ganz plötzlich vorbei. Was bleibt ist die Bühne als Schlachtfeld. Und viele zusammenhanglose Wortfetzen im Kopf der Zuhörer. Ein Topf mit Meerwasser, Wollknäulen, Federn, Kleidungsstücken und Pergamentfetzen zeugen noch vom Maskenspiel zwischen Traum und Wirklichkeit. Das Ganze wirkt beinahe wie ein Abbild der modernen Gesellschaft, in der das Individuum von einer Informationsflut überrannt wird und zu vereinzeln droht.

Am Ende klatschen die Zuschauer erst zaghaft, gehen dann in bewundernden Jubel über. Regisseurin Johanna Stapelfeld und ihr Team - Mirjam Marquard, Peer Ziegler, Stefan Hansen, Jay Miniano und Bene Wollesen - haben mit der experimentellen Inszenierung Mut bewiesen. Sie haben durch ergreifende Darstellung überzeugt. Sie haben manchen Besucher irritiert, ihm Denkanstöße gegeben und neue Horizonte eröffnet.

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