Von Menschen, Muscheln und Meerwasser
Tierköpfe blicken auf die Zuschauer. Die fünf jungen Schauspieler
liegen am Boden, die nackten Füße von sich gestreckt. So begann am
Donnerstag die Premiere von Yoko Tawadas erfrischend ungewöhnlichem
Stück „Die Kranichmaske, die bei Nacht strahlt" in der Theaterwerkstatt
Pilkentafel.
Mit Beginn der neuen Spielzeit feiert die
Pilkentafel ihr 25-jähriges Jubiläum. Los ging alles im September 1983
mit dem Stück „Wir werden uns leidenschaftlich lieben". In der
Zwischenzeit wurden insgesamt 34 Stücke gespielt und mehr als 25
Performances oder einmalige Events aufgeführt.
Grammatik und
Geruch, Tod und Tanz, Panik und Polizei - all das sind lose
Themenfetzen, die auf den Zuschauer einstürmen. Blaues Licht,
ekstatisches Flüstern, animalische Schreie und fortlaufendes
Experimentieren mit der Sprache als solche tun ein Übriges, um den
Zuschauer zu irritieren. Dass im Mittelpunkt der Tod steht, wirkt
beinahe nebensächlich, denn bizarre Vorstellungen, unerfüllte Wünsche,
geheime Rachegelüste, Ekelanwallungen und Aggressionen - etwa gegen ein
Telefon - übertönen das merkwürdige Totenritual von vier Menschen am
Vorabend der Beerdigung. Nach einer Weile verwundert es kaum noch, dass
der Dolmetscher die Grammatik der Schildkröten kennt und der Bruder der
Toten eine Muschel liebt.
Neben aller Absurdität (Kann ein
Kranich ICH heißen?) und zahllosen Sinnfragen kommt auch der Humor
nicht zu kurz - wenn auch ein sehr spezieller. Davon zeugen Aussagen
wie: „Ich will nicht heiraten, denn ich will nie so wie meine Frau
aussehen". Oder auch die Tatsache, dass Menschen dreißig Jahre im
gleichen Haus leben, ohne je miteinander gesprochen zu haben.
Und
dann ist alles ganz plötzlich vorbei. Was bleibt ist die Bühne als
Schlachtfeld. Und viele zusammenhanglose Wortfetzen im Kopf der
Zuhörer. Ein Topf mit Meerwasser, Wollknäulen, Federn, Kleidungsstücken
und Pergamentfetzen zeugen noch vom Maskenspiel zwischen Traum und
Wirklichkeit. Das Ganze wirkt beinahe wie ein Abbild der modernen
Gesellschaft, in der das Individuum von einer Informationsflut
überrannt wird und zu vereinzeln droht.
Am Ende klatschen die
Zuschauer erst zaghaft, gehen dann in bewundernden Jubel über.
Regisseurin Johanna Stapelfeld und ihr Team - Mirjam Marquard, Peer
Ziegler, Stefan Hansen, Jay Miniano und Bene Wollesen - haben mit der
experimentellen Inszenierung Mut bewiesen. Sie haben durch ergreifende
Darstellung überzeugt. Sie haben manchen Besucher irritiert, ihm
Denkanstöße gegeben und neue Horizonte eröffnet.